Worin bitte schön, kann ein Clown, eine Witzfigur, schon Experte sein?
Woran denken wir als erstes, wenn wir an Clowns denken?
Er stolpert, läuft gegen eine Tür, fällt in die Torte oder Ähnliches. Ein Clown macht nur Quatsch. Er stellt unsinnige Behauptungen auf, ist naiv der Welt und der Realität gegenüber. Er wird herumkommandiert und ausgelacht. Oder bemitleidet, wenn die Situation ihn zwingt, mit Handschuhen und Besteck eine verheißungsvoll leckere Tafel Schokolade zu essen.
Und dann?
Was passiert dann, bei all der Unmöglichkeit, dem nicht zu beherrschenden Chaos?
Dann wird es spannend. Denn dann sucht der Clown nach Lösungen – und meist findet er eine.
Warum üben Clowns in ihrem Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens so eine Faszination aus, warum findet man sie in irgendeiner Form in allen Kulturen?
Es ist simpel. Das Scheitern liegt nun mal tief in unserer menschlichen Natur verankert. Sie ist unsere zweite Haut. Das Herzstück unserer Evolution als Spezies ist es gewesen, wie wir mit Misserfolgen und Scheitern umgegangen sind.
Wir können das Scheitern nicht aus unserem Leben verbannen, denn Scheitern, oder zumindest, dass wir es so erleben, ist das Leben selbst. Wenn wir also Versagen, Ablehnung, Schwierigkeiten und Ähnliches aus dem Leben raushalten wollen, bleibt nichts mehr übrig.
Weil zum Atmen auch das Loslassen gehört. Zur Geburt der Schmerz. Zum Erfolg die harte Arbeit.
Wenn wir also Leben wollen, müssen wir uns bewegen und mitgehen mit dem, was ist, ob uns das gerade gefällt oder nicht.
Und da kommt der Clown ins Spiel. Als Figur, als Stellvertreter, als Metapher für unser aller Erleben unserer selbst.
All das, was wir als negativ erleben, ist ja nicht von Glücksgefühlen begleitet. Es fühlt sich nicht gut an, aktuell der Depp vom Dienst zu sein. Nicht die richtige Antwort zu haben, wenn der Chef fragt. Nicht die Zeit oder Ruhe zu haben, auch noch den dritten Flitzer aus Lego mit den Kindern zu bauen. Schnippisch zu reagieren, wenn man angegriffen wird.
Und da stolpert der Clown wieder in unser Blickfeld. Ihm passiert all das, was keiner haben will. Volle Möhre drauf, immer drauf, auf den armen Tor!
Und wir? Wir können zuschauen, ohne selbst in Gefahr zu sein. Und was wir sehen, sind wir selbst. Nicht zwingend unser Leben und unsere Situation. Aber wir sehen unser Sein. Als Wesen. Was wir sind und auch nur sein können. Ein Spiegel, dessen Scherben wir nicht zusammenkehren müssen, wenn er zerbricht, vor unseren Augen.
Wir können unser eigenes, limitiertes Sein sehen und müssen es aber nicht selbst aushalten – zumindest in diesem Moment, wo wir sicher auf unserem Zuschauerplatz sitzen, mit Popcorn in der Hand.
Uns allen ist diese Faszination für die schwere Seite des Lebens genauso angeboren, wie für das Licht und die hellsten Momente. Himmel und Hölle. Yin und Yang. Das eine kann nicht ohne das andere existieren.
Und wenn wir nun sehen, wie jemand so richtig in der Patsche sitzt, er also in seine persönliche Hölle absteigt, fühlen wir uns selbst. Es wird ja häufig gesagt, wir fühlen mit. Ich glaube eher, wir fühlen uns selbst.
Dann kommt der Moment, wo wir, als Zuschauer, uns selber und unsere eigenen Schwierigkeiten loslassen können. Wir müssen erleichtert lachen, wir drücken die Daumen, oder wie auch immer. Da gibt es verschiedene Reaktionen. Lachen ist sehr häufig eine Erleichterung von Spannung. Da gibt es eine Endorphinausschüttung und los geht’s. Wir befreien uns selbst von der Schwere, die vor uns steht.
Unser armer Clown steckt aber immer noch in der tiefsten Misere. Er zeigt dabei auch alle seine Emotionen, wie Kinder das tun, bevor sie zivilisiert werden.
Wenn der Clown in diesem Moment der dunkelsten Stunde angekommen ist, gibt es nur drei Möglichkeiten. Er kämpft, er flieht oder er stellt sich tot, wobei letzteres für mich ein Synonym für „nichts tun“ ist.
Wir wissen alle, dass kein Moment, so schwer er auch ist, das Ende aller Zeit ist. Es geht immer weiter. So oder so.
Nur wie?
Und hier wird es interessant. Wir wissen, dass das Wie, aus dieser Situation herauszukommen, sehr wahrscheinlich ein anderes ist, als das, was wir als Weg gewählt hätten. Das ist die Überraschung, darüber freuen wir uns. Hach, dem Leben wieder ein Schnippchen geschlagen, dem Sensenmann von der Schippe gesprungen. Toll!
Und worüber wir uns noch freuen: Der Clown als Figur leidet nicht darunter, dass die Schwierigkeit überhaupt da ist. In seiner Welt sind Schwierigkeiten normal, das muss so sein, dass man Schokoladentafeln mit Besteck isst. Er hadert an der Form, in unserem Fall das Besteck. Aber die Tatsache an sich, dass Schokolade essen eine kreative Lösung verlangt, ist kein Problem für ihn. Und das ist ein sehr wichtiger Unterschied. Und darum lohnt es sich, dort noch etwas genauer hinzuschauen, warum der Clown tut, was er tut.
Was hat das mit unserem heutigen Verständnis von Humor zu tun, das ja verglichen mit dem Clown ein neues Phänomen ist? Wir können vom Clown lernen: den Mut zum Scheitern, die Lust am Problem und die Fähigkeit zur Verwandlung. Dazu brauchen wir im Arbeitsalltag keine rote Nase, keine Schminke und auch keine Verkleidung. Diese gute Rolle lassen wir dem Clown. Aber wir können seine Techniken nutzen: die Übertreibung, die Umdeutung, die Andeutung, die Begeisterung für negative Situationen und die Fähigkeit, aus einem Missgeschick ein Wunder zu machen. Der Clown ist voll von Sozialem Humor und hat eine große Zuneigung zu jedem Menschen, ob dieser erfolgreich ist oder auch nicht. Und diese besondere Atmosphäre kann Anspannung im Unternehmen verändern, kann wichtige Krisen begleiten oder einfach die Teamatmosphäre am Montagmorgen verbessern.
Probieren Sie ruhig bis zum nächsten Mal die Schokolade mit Besteck aus. Guten Appetit und bis bald in Teil 2.
Ihr Sören Kaspersinski