Nachdem wir uns bereits genauer angeschaut haben, warum der Clown Krisenexperte ist, möchte ich auf eine weitere Frage eingehen:
Warum können sich Clowns so viel leisten und kommen damit auch noch durch?
Weil alle Menschen sich nach der ihnen angeborenen Freiheit sehnen.
Nach dem Recht, tun und lassen zu dürfen, was immer sie möchten.
Nachdem wir alle – die einen mehr, die anderen weniger – den Prozess der Sozialisierung und Zivilisierung durchlaufen haben, haben wir uns ein Geflecht an Regeln und Glaubenssätzen geschaffen, das das Miteinander regeln soll und meist auch tut.
Natürlich hat diese „Ordnung“ eine wichtige Funktion und ohne sie wäre ein Zusammenleben, ein Zusammenarbeiten schwierig. Die unangenehme Seite davon ist, dass Menschen Distanz zu sich selbst, ihren Bedürfnissen und zu anderen Menschen aufbauen.
Leider kümmern sich Bedürfnisse, die in uns auftauchen, nicht darum, auch besonders sinnvoll für mich, andere, oder die aktuelle Situation zu sein. Sie sind einfach, das, was sie sind.
Kinder müssen in der Schule sitzen, bei Sonnenschein (seufz) und Erwachsene am Arbeitsplatz Verantwortung übernehmen (knirsch).
Kurz: Sie dürfen eben nicht tun, worauf sie gerade Bock haben.
Wer dagegen aufbegehrt, bekommt es mit den jeweiligen „Regelhütern“ der Gemeinschaft zu tun – z. B. mit Lehr- oder Führungskräften. Mit der Zeit akzeptieren wir wohl oder übel, dass wir als Individuen nicht gegen den Rest ankommen.
Wir versuchen dann optimalerweise, die Urkraft unseres eigentlich chaotischen Seins in für uns „sinnvolle“ Bahnen zu lenken. Uns z.B. einen Job suchen, der unsere Existenz sichert und uns bestenfalls auch erfüllt.
Aber es wird immer einen Ort in uns Menschen geben, der diese Dissonanz zwischen uns und dem Regelwerk der Gesellschaft, in der wir leben, spürt und am Leben erhält.
Natürlich ist dies alles aus der Perspektive einer friedlichen Gesellschaftsform erzählt. Viele Menschen auf der Welt haben leider mit noch wesentlich stärkerer Repression und Gewalt zu kämpfen, wo es eher um das nackte Überleben geht.
Aber was hat es denn nun mit der Narrenfreiheit auf sich?
Wenn wir uns in einer Situation befinden, in der wir nicht sein wollen und in der wir auch nicht viel zu sagen haben, spüren wir die oben erwähnte Dissonanz in uns stärker als sonst. Auf der körperlichen Ebene bedeutet das: Stress.
Und es spielt in meiner Erfahrung keine Rolle, ob ich nun ein genervter Erwachsener in einem sinnlosen Meeting bin, oder ein Kind, das heute zu einer Untersuchung muss.
Wenn hier wieder unser Clown ins Bild stolpert, passiert etwas.
Durch den Schutz seiner roten Nasenmaske darf er sagen und fühlen, was der eigentlich Leidende nicht sagen und fühlen darf. Er darf die Dissonanz direkt ansprechen, indem er völlig überzogen leidet und sich beklagt. Oder er wehrt sich, mit allem, was ihm zur Verfügung steht, und tut kund, was hier gerade nicht ausgehalten werden kann. Dabei übergeht er den königlichen Status derer, die hier aktuell das Sagen haben: Politikerin, CEO, Chefärztin, Lehrkraft, Eltern usw. Damit reguliert er uns auf das eigentliche menschliche Sein. Dort sind wir nämlich alle gleich. Ungeachtet von Herkunft, Bildung, Alter, Status oder Titel.
In dem Moment, wo der Clown auftritt und ausdrückt, was ist, verschwindet die Dissonanz, der Schmerz.
Wir erleben wieder unsere Freiheit, wenn wir uns spüren und sagen können: Ja genau, so ist es! Das bin ich. Das sind wir.
Wir alle brauchen diese Momente, in denen wir in den kleinen und größeren Stürmen des Lebens im Einklang mit unserem Sein sind.
Einklang bedeutet keine Dissonanz, also auch keinen Schmerz. Kein Hadern, kein innerer Aufruf zum Widerstand.
Solange wir nicht im dauerhaften Zustand des Einklangs weilen, was, glaube ich, per Definition in unserem Universum nicht möglich ist, entstehen Dissonanzen. Das ist aber nicht schlimm.
Schlimm wird es nur, wenn wir einen „schlechten“ Umgang damit entwickeln.
Eine Dissonanz taucht auf. Danach läuft bei uns vieles unbewusst und chaotisch ab. Unsere Hirnstruktur ist hierbei auch nicht immer hilfreich. Möchte sie uns doch grundsätzlich erstmal immer wieder zu dem zurückführen, was sie schon kennt (wozu sie also neuronale Verbindungen aufgebaut hat). Und nicht zwingend dahin, was jetzt für diese Situation das Beste wäre. Da unterscheiden wir uns z.B. deutlich von unserer neuesten „Spezies“, der KI.
Als Nicht-KI bedeutet das für uns: Unsere Gedanken und Emotionen beeinflussen unsere Hormone, und vice versa.
Das hat natürlich massive Auswirkungen auf die Entscheidungen, die wir treffen.
Wir müssen bei einer Dissonanz (also bei Stress), frühzeitig gegensteuern:
Emotionalen und gedanklichen Realitätscheck, loslassen, umdeuten, atmen, uns bewegen oder ähnliches, um noch „gute“ Entscheidungen treffen zu können.
Und genau hier setzt der Clown wieder seine Zauberwaffe ein: den Humor.
Absurdität. Übertreibung. Spaß. Heiterkeit. Naivität. Menschlichkeit. Freude usw.
Er führt uns zur inneren Harmonie, die wir dringend brauchen.
Als musikalisches Bild: Er führt uns von der Dissonanz zur Konsonanz.
Albert Camus hat diesen Vorgang sehr schön beschrieben:
„Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.“
Der Clown bzw. Narr gehört zu den von C. G. Jung definierten 12 Archetypen.
Diese stellen tief in uns verwurzelte Urbilder dar, die im kollektiven Unterbewussten einer Gesellschaft verankert sind. Der Rebell, die Rebellin, oder der/die Weise sind z.B. andere Archetypen. Wir haben sofort ein Bild, wir wissen, worum es sich handelt.
Daher haben wir auch einen Zugang zu der Figur des Clowns. Unabhängig davon, ob wir jetzt gerade mögen, was er tut. Wir wissen, dass er mit Furchtlosigkeit und Lebendigkeit Kopf und Kragen riskiert um (auch für uns), spielerisch seine Ziele (Freiheit, Freude) zu erreichen.
Das ist meiner Erfahrung nach der Grund, warum der Clown damit durchkommt, wenn er mal wieder über die Stränge schlägt und sich über Regeln hinwegsetzt, während wir staunend daneben stehen und uns fragen, warum wir das nicht auch können.
Die gute Nachricht ist: Wir können.
Wir können alle Mittel des Humors nutzen um unsere Ziele, auch im Berufsleben, zu erreichen. Um Dissonanzen zu verringern.
Als Führungskraft möchtest du eine erfolgreiche Verbindung zu deinen Mitarbeitenden?
Zeige z.B. mit einem heiteren Eingeständnis auch dein eigenes Scheitern und beweise damit, dass du dich selbst nicht über allem, nicht als Mittelpunkt der Welt siehst. Die Einschätzung der dir zugetrauten Kompetenz wird als Folge steigen.
Aus diesem Grund sind wir auch bereit, den oft erwähnten „authentischen“ Menschen zuzuhören und zu folgen.
Du möchtest Aufmerksamkeit für die Implementierung einer neuen Software?
Gestalte deine erste Präsentation spielerisch. Nutze charmantes Storytelling, bei dem du in die Übertreibung gehst, warum diese neue Software vermutlich alle Mitarbeitenden an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen wird, aber trotzdem ungemein wichtig ist.
Um so zu arbeiten, müssen wir uns keine rote Nase aufsetzen, die Mechanismen funktionieren auch ohne. Und werden mit ein wenig Übung immer besser und in mehr Bereichen erfolgreich sein.
Frechheit (Heiterkeit, Freude, Spaß, Humor) siegt. So sagt es der Volksmund.
Wenn wir ein paar Regeln bei der Anwendung beachten, werden wir durch Humor nicht etwa wegen Lächerlichkeit im Status sinken, sondern Vertrauen gewinnen, Stress abbauen, Zuversicht stärken, Freude generieren, kreative Lösungen finden und schlussendlich sogar im Status steigen. Weil wir (dem Clown sein Dank) damit sehr gut durchkommen.
Ihr
Sören Kaspersinski