Natürlich darf man mit und über Behinderung Humor machen

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Das Internet zerreißt sich seit einigen Wochen laut über den Comedian Luke Mockridge. Zu den Paralympics sitzt er mit zwei Podcast-Freunden im Studio und macht Behindertenwitze. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass Menschen der Humor empört. Auch nicht bei Luke Mockridge. Sie erinnern sich an Jan Böhmermann und das Schmähgedicht, Lisa Eckart und den Antisemitismus, Dieter Nuhr und den Rassismus-Vorwurf. Comedians haben es wirklich aktuell nicht leicht. Oder?

Nun ja, es ist auch der Job von Kabarett und Comedy, genau das zu tun: Grenzen auszuloten. Und: Humor wird nie aussterben. Aber unser Humor steckt in einem echten Wachstumsschmerz: Er verändert sich. Menschen wünschen sich mehr als nur Beschämung. Und Comedy ist immer auch ein Zeitgeist, ein Spiegel der Gesellschaft, ein Austesten der Grenzen. Und das ist gut so. Aber die wichtigste Frage an unsere Gesellschaft ist doch: Was wollen wir denn dann? Wenn es keine Beschämung mehr sein soll, was dann? Welcher Humor darf denn unsere Zukunft gestalten? Lassen Sie uns nur nicht bei der bloßen Empörung stecken bleiben. Das wäre doch ziemlich langweilig.

Der contergangeschädigte Tenor Thomas Quasthoff verstand gerne Dinge absichtlich falsch, wenn er formuliert : „In Deutschland leben 80 Millionen Behinderte. Ich habe das Glück, dass man es mir ansieht.“ Großartiger Humor, der zu viel Mitleid definitiv vom Platz wischt. Quasthoff nutzt Humor und Leichtigkeit oft, um seine Beeinträchtigung für Menschen leichter zu machen: Wenn er mit einem Ensemble an den Bühnenrand eilte, waren seine Beine oft zu kurz zum Rennen. Das Ensemble nahm keine Rücksicht darauf. Er übertrieb oft dieses „nicht schneller rennen können“.

Der Inklusionsaktivist Raul Krauthausen hat in einem gemeinsamen Podcast von diesem Humor über Behinderung die Nase total voll. Er fordert endlich Humor, der nicht die Behinderung zum Gegenstand des Lachens macht. Ich stimme ihm zu, wenn wir ein neues Miteinander fordern. Ich stimme ihm nicht zu, wenn es darum geht in Zukunft total auf aggressiven Humor zu verzichten. Das wir weniger Unsicherheit im Umgang mit Beeinträchtigung benötigen –auf jeden Fall! Immer noch. Immer wieder neu. Aber das wird sich nicht über das Verbot von Humor entwickeln. Sondern nur, indem wir neue Ideen von Humor entwickeln, die liebevoll, zugewandt und nicht nur beschämend sind. Wir müssen die Humortür weiter aufmachen.

Wenn man das Wort „MS“ im Wörterbuch nachschlägt, findet man sowohl den Begriff Multiple Sklerose als auch den Begriff Motorschiff. Das animierte Philipp Hubbe, einen in Mitteldeutschland sehr bekannten politischen Comiczeichner, der selber an Multipler Sklerose erkrankt ist, zu folgendem Comic: Man sieht vier Schiffe nebeneinander und an fünfter Stelle steht ein Mann in einem Rollstuhl. Unter jedem Schiff steht ein Name: MS Hamburg, MS München, MS Honkong – und unter dem Mann steht MS Rainer. Auch hier ist die Behinderung der Gegenstand des Witzes.

Mir zeigt die Empörung über diese Form von Humor vor allem eins: Viele Menschen wünschen sich Normalität mit einer Beeinträchtigung. So weit. So wertvoll. Weniger Humor über Behinderung heißt für sie automatisch: weniger Diskriminierung. Und Solidarisierung mit einer Person, die häufiger benachteiligt wird als andere.

Die komplette Abschaffung des Lachens würde zu einer traurigen Humorlosigkeit unserer Gesellschaft führen. Also welchen Humor wollen wir denn dann?

Mit dem Humor ist es recht einfach. Humor kann einerseits eine Sache, einen Menschen und einen Moment zum Helden machen: der Soziale Humor. Ein Angebot in einen Tennisball verwandeln und zurückgeben. Sozialer Humor öffnet Türen. Er deeskaliert. Er inkludiert. Er hebt Sozialen Status und Unterschiede für einen Moment auf. Er schafft Gemeinschaft.

Oder man zieht alles und jeden durch den Kakao. Sogenannter Selbstabwertender oder Aggressiver Humor nimmt auf die Schippe, senkt den Status. Die humorvolle Mistgabel des Teufels: ein Stoppschild. Die Fallhöhe der Comedians. Das bringt Spannung.

Unser Humor hat Wachstumsschmerzen. Er verändert sich. Wir wollen weniger Beschämung im Miteinander und eine neue Leichtigkeit.

Lieber Luke, hier ein erster Serviervorschlag:

Der Begriff Umdeutung (im Englischen: Reframing) oder auch Neurahmung entstammt der Systemischen Familientherapie und wird auf Virginia Satir zurückgeführt. Auch in der Hypnotherapie von Milton Erikson, dem NLP und der Provokativen Therapie hat das Reframing einen hohen Stellenwert. Durch Umdeutung gibt man einer Situation eine andere Bedeutung bzw. einen anderen Sinn. Man versucht die Situation in einem anderen Kontext oder „Rahmen“ zu betrachten. Ein Rahmen ist auch eine eingeschränkte Sicht der Situation. Verlässt man den Rahmen, verändert sich auch die Sicht auf die Dinge.

Ziel einer Umdeutung ist es, den Beteiligten der Situation einen leichteren Umgang mit dieser zu ermöglichen. Umdeutungen verwendet man nicht nur in therapeutischer Umgebung. Aber diese Technik kommt aus den helfenden Berufen, nicht aber aus dem Kabarett – wie zum Beispiel die Inkongruenzen. Umdeutungen im humorvollen Sinne bedeuten nicht nur, den Rahmen der Situation zu wechseln, sondern sogar einen amüsanteren Rahmen zu sehen als vorher. Es fragt Sie jemand: „Ist Ihr Haus kindersicher ?“ Sie antworten: „Nein, zwei haben es doch reingeschafft“.

2020 können Sie als Führungskraft kommentieren mit: Rückblickend hat wohl 2015 niemand die Frage „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ richtig beantwortet.

Nach der Ausgangsbeschränkung durch Covid-19 war alles geschlossen. Inzwischen auch die Spielplätze. In unserem Trainerteam viele mit kleinen Kindern. Alle jammerten im Online-Meeting und waren genervt. Unsere Kollegin, ihre Tochter war Anfang 20 und studiert in der Nachbarstadt, sagte: „Ich wollte auch gern zum Spielplatz – aber meine Tochter wollte leider nicht.“ Harmloses Lachen. Niemand wird beschämt, es ist einfach nur witzig. Und es ermöglicht Normalität.

In einer Gesellschaft, die sich schon inklusiv große Schritte vorwärts bewegt hat. Aber in der es eben auch noch zahlreiche Unsicherheiten gibt. Vielleicht schafft Comedy neben allem Zynismus auch einfach mal ab und zu nur lustig zu sein: ohne zu beschämen. Das würde unserer aktuellen Dünnhäutigkeit sehr guttun.

Ein guter Freund von mir, ein spastisch gelähmter Mann, heißt Roland. Das mit der spastischen Lähmung wäre absolut nicht erwähnenswert, wenn nicht Unsicherheiten wie folgende täglich passieren: hier geht es zur Geschichte

Dieser Text erschien vollständig bei Focus Online im September 2024.