Trauen wir uns Zukunft zu?

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Ich frage Menschen in meinen Veranstaltungen sehr gerne, welche Herausforderungen sie im Leben überstanden und “geschafft” haben.

Eine unvollständige Auswahl:
mit Messer und Gabel essen, den Führerschein machen, Berufswechsel, Umzug, Kinder erziehen, Anaphylaxiediagnose, Schule gründen und mit Leben füllen, Berufspolitikerin sein, Erkrankung, Vater sein, die Stadt wechseln, zwei Jahre in einem schwierigen Klassenteam aushalten, Geburt der Tochter, jemanden los lassen, von zu Hause ausziehen, Tod der Brüder, Wechseljahre, Jugendlicher sein, alleinerziehend sein, unterrichten, verändern, ungeschminkt aus dem Haus gehen, Theater AG in der Schule ins Leben rufen, einen Verein führen, ehrenamtlich tätig sein, eine Ehe führen, Einschulung, Staatsexamen, etwas auf diese Karte schreiben, meine Heimat verlassen und nach Deutschland kommen, Habilitationsvortrag ging total in die Hose, der Auftrag ist gegen die Wand gefahren …

Wieso trauen wir uns eigentlich so wenig Zukunft zu? Wenn wir schon so viele Krisen gemeistert haben? Was ist in Deinem Krisenkoffer der Veränderung schon alles drin? Welche Erfahrung macht Dir Lust auf die Zukunft?

Ich habe meine Eltern nach der Wende sehr bewundert: Ich bin in einem kleinen Dorf bei Bitterfeld-Wolfen aufgewachsen. Mein Vater trat in die nächstbeste Partei ein und wurde Bürgermeister, baute Straßen neu, engagierte sich in der Kommunalpolitik, war zuverlässig, organisierte Gemeinschaft, machte sich selbstständig. Komplett ohne zu wissen, wie das neue System funktionierte. Meine Mutter wollte sich als gelernte Zahnarzthelferin mit einer Zahnreinigung selbständig machen. Das war direkt nach der Wende nicht möglich. Also kaufte sie sich einen Kopierer und baute in 30 Jahren den bestsortiertesten Fachhandel im Landkreis mit 6000 Produkten auf.

Natürlich macht mir die Zukunft manchmal auch Angst. Aber ich habe auch viel Lust, sie mitzugestalten, für unsere Kinder an einem lebenswerten Punkt in der Zukunft anzukommen. Denn es gibt nie nur die eine Zukunft. Es gibt mehrere Zukünfte, in denen wir landen können. Es gibt Gestaltungsspielraum.

Der Stummfilm wurde um den Ton ergänzt. Der Chef des Filmunternehmens Warner Bros hat Anfang 1900 gesagt: Wer zum Teufel will Schauspieler sprechen hören? Der Stummfilm ist nie wieder das Maß der Dinge geworden. Wir feiern jährlich den Reformationstag. Luther hat ein etabliertes System komplett von Staub befreit und reformiert. Und viel Widerstand ausgelöst. Und damit Zukunft gestaltet.

Wieso sollte nicht auch KI unsere Welt so grundlegend verändern, wie es schon Erfindungen vor ihr getan haben? Wieso sollte sich Kommunikation nicht so verbessern, dass Menschen nicht mehr ständig aneinander vorbeireden?

Warum trauen wir uns bei all der Veränderungserfahrung nicht mehr Zukunft zu? Leichtigkeit kann ein Rahmen sein: für die eigene Sorge, für den Abschied gewohnter Strukturen, für den Kloß im Hals. Für das “Noch-nicht-fassen-können”, was die Transformation mit sich bringt.

Welche Herausforderung hast Du schon gut überstanden? Das Gespräch darüber mit Dir macht mir Mut für die Zukunft.