Wie kann Humor Schmerzen erträglich machen?

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Eine Mutter kommt mit ihrem Sohn ins Coaching. Sie kamen zu zweit. Der Sohn war 17, hatte die Schule geschwänzt, räumte sein Zimmer nicht mehr so auf.

Er hatte überhaupt wenig Bock auf irgendetwas. Er war sehr gut gekleidet, schlank und wirkte ganz sortiert. Die Mutter war sehr aufgelöst und voller Sorge. Der Sohn setze sich mit den Worten “Ich brauche keine Therapie und werde deshalb auch nichts sagen!”.

Darauf antwortet meine Kollegin Birgit Deutschmann begeistert: “Das ist super, dann habe ich mehr Zeit zum Reden.” Sie redete also mit der Mutter und sagte zu ihr sehr liebevoll und zugewandt “Schau dir deinen Sohn an, aus dem wird nichts mehr. Die einzige Karriere die er noch vor sich hat, ist als Obdachloser unter einer Brücke zu leben. Sie könnte ihm ja bei Gelegenheit nochmal eine Suppe vorbeibringen. Ansonsten ist wirklich Hopfen und Malz verloren!”

Wenn man das so liest, zieht es einem wirklich die Schuhe aus. Man kann nicht glauben, dass Birgit so etwas sagt. Dazu musst Du wissen, daß Birgit die wohl respektvollste und wertschätzende Person ist, die man auf diesem Planeten treffen kann. Ihre Haltung könnte nicht zugewandter sein. Sie traut Mutter und Sohn viel zu und vor allem möchte sie Bewegung in die Beziehung von den beiden bringen. Diese Haltung macht etwas sehr besonderes mit ihrem Humor. Dazu ist sie der „Advocatus diaboli“: also sie begeistert sich für das Problem. Und zum ersten Mal will niemand von dem Sohn, dass er sich verändert. Sondern empfiehlt im quasi mit einem Augenzwinkern sein Problem zu behalten. Das verändert sofort die Richtung im Gespräch.

Bevor die Mutter antworten konnte, schaltete sich der Sohn ein und sagte “So schlimm bin ich nun auch wieder nicht. Ich kann sehr wohl wieder regelmäßig zur Schule gehen und auch meinen Müll entsorgen!” Er verstand die Sorgen der Mutter und nach der einen Sitzung hatte sich das Problem in Luft aufgelöst.

Meine Kollegin Birgit Deutschmann ist ein sehr erfahrener Coach in Graz. Seit vielen Jahren begleitet sie Menschen in Krisen. Um Bewegung in eine Sache zu bringen, benutzt sie immer wieder liebevolle Provokationen. Also sie spricht paradoxe Empfehlungen aus. Und erzeugt damit Widerstand: der sich allerdings gegen das Problem richtig und nicht gegen den Therapeuten.

Wen wir aus Beispielen im Coaching berichten, in denen Humor und liebevolle Provokation schnell etwas bewirkt haben, dann ist bei erfahrenen Sozialpädagogen, Therapeuten und Ärztinnen, also den helfenden Profis, vor allem mit tiefenpsychologischer Ausbildung oft Skepsis angesagt. Wir verstehen die Skepsis des “Wunderheilungsgeruches” durchaus. Birgit arbeite nun seit über 17 Jahren vorrangig mit dem Provokativen Ansatz im therapeutischen und auch im Coachingbereich. Ihr Mann als Klinischer und Gesundheitspsychologe ebenfalls. Ich arbeite seit über 20 Jahren im Training und Coaching mit dem Provokativen Stil. Wir haben tatsächlich schon viele dieser “Wunderheilungen” erleben dürfen. Das ist nicht immer so, aber es kommt doch relativ oft vor, dass auch schon nach einer Sitzung eine nachhaltige Verhaltensänderung passiert ist, an der wir nicht mehr weiter arbeiten brauchten.

Dieses neue emotionale Fundament, welches sich durch die provokativen Interventionen sehr schnell entwickeln kann, macht es durchaus möglich. Ansonsten ist es auf jeden Fall ein Türöffner, um verkrustete Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster liebevoll aufbricht und Weiteres möglich macht.

Auch als Trainerin und Coach benutze ich gerne paradoxe Interventionen. Sie bringen so viel Bewegung in den Schmerz. Dosiert. Abwechselnd. Natürlich halte ich auch Unsicherheit, Verwirrung und Schmerzen meiner Klienten einfach aus, ich trauere mit ihnen. Aber nicht selten braucht es dann wieder Bewegung.

Wir treffen und regelmäßig zu einem „kollegialen Austausch“. Ich möchte wissen, wie sie humorvoll anderen Menschen geholfen und hat und ich erzähle Beispiele aus meinen Trainings und Coachings. So lernen wir immer wieder voneinander. Dieses mal lerne ich in Salzburg.

Der Vater von Birgit hörte auf zu essen. Er war ein erfahrener Landwirt. Sein Leben lang hatte er einen eigenen Hof in dritter Generation bewirtschaftet. Ein wortkarger und gleichzeitig herzlicher Mann. Der eigene Sohn hatte ebenfalls auf dem Hof angefangen. Rentenalter des Vaters war gekommen, aber wurde vom Vater natürlich komplett ignoriert. Sein Augenlicht wurde jedoch schlechter. Eines Tages durfte er keinen Traktor mehr fahren. Da hörte er einfach vor lauter Kummer komplett auf zu essen. Birgit saß bei einem ihrer Besuche mit ihm am Tisch. Sie redete auf ihn ein, dass er unbedingt essen und trinken müsse und was sie ihm besorgen könne, damit er wieder zu Kräften kommt. Er hatte keine Lust auf irgendetwas. So wollte langsam wieder gehen. Da dreht sie sich schon fast auf dem Weg nach draußen, schmunzelt ihn an und benutzt eine liebevolle Provokation. Zugewandt und besorgt überraschte sie ihn: „Hör auf doch auf zu essen UND zu trinken Papa, dann stirbst Du schneller.“ Der Vater blickte erstaunt auf und grinste: „Du bist doof“. Und er lachte. Er lachte aus vollem Herzen. Das hatte er nicht erwartet. „Nein“ sagte er, „ich will nicht sterben, ich will nur Traktor fahren“. Das verstand seine Tochter und sie suchten nun einen Weg, trotzdem auf dem Hof sinnvoll tätig zu sein. Auch ohne Traktor fahren zu können.

Dagmar Kumbier, eine sehr erfahren Kollegin in der Therapie und Teilearbeit hat ebenfalls die Erfahrung gemacht, daß man mit solchen treffenden Kurzinterventionen verkrustete Muster liebevoll sichtbar machen und öffnen und dadurch Neues ermöglichen. Sie ist immer wieder erstaunt, wie viel in 60 Minuten in ihrem Workshop passieren kann, wenn sie für eine Klientin die inneren Anteile auf die Bühne im Raum bringt. Psychotherapeutische und Coachingprozesse verlaufen nicht linear, sondern in Sprüngen – und wenn die Zeit reif ist, kann sich damit auch ein Thema lösen. Und natürlich hängt es auch vom Thema und vom Auftrag ab, was wie lange dauert.

Aber Lebensthemen, frühe Bindungstraumatisierungen, lebensgeschichtlich tief verwurzelte Abwehr löst man nicht in einer Sitzung. Denn diese sind an vielen Fäden im Inneren Verankert und grundlegende Schritte setzen Gefühle frei (Trauer, Schmerz, Angst, Wut uvm), die dann auch gehalten und verarbeitet werden wollen.

Diese Einwände sind durchdacht und berechtigt. Bei provokativen Interventionen geht Dr. Eleonore Höfner nicht darum “Lebensthemen, frühe Bindungstraumatisierungen, lebensgeschichtlich tief verwurzelte Abwehr” in einer Sitzung zu lösen, sondern es ist der Versuch, ein verkrustetes System in Bewegung zu bringen und zu öffnen für neues Denken, Fühlen und Verhalten.

Die nonverbal vermittelte uneingeschränkte Wertschätzung und das bedingungslose Zutrauen in die Kräfte der Klienten – eine unabdingbare Voraussetzung provokativer Arbeit – bewirkt oft wahre Wunder, aber diese Wirkung ist kein Wunder, sondern eine logische Folge der Umlenkung emotionaler Energien in eine neue Richtung. Der Türöffner ist das Zutrauen und der Humor. Das befähigt die Klienten, mit ihren Altlasten auf neue Weise umzugehen, und das geht oft in einer Sitzung. Das Noni Höfner seit 40 Jahren als Psychologin und Therapeutin.

Frank Farrelly, der Begründer der Provokativen Therapie, hat dieses Vorgehensweise bei seiner Arbeit in der Psychiatrie entwickelt, wo er 17 Jahre lang arbeitete, und manche Patienten aus der geschlossenen Abteilung hinausprovoziert. Bestimmt nicht immer in einer Sitzung !

Hier möchte ich Euch zwei weitere Möglichkeiten vorstellen, die helfen Schmerz erträglich zu machen. Erst mal für Dich selbst. Dann erst im nächsten Schritt im Coaching für Dich als Profi, der humorvoll gerne noch wachsen will.

Ich nenne es oft das “Absichtliche Missverstehen”. Man sucht in einer Sache eine Wendung, die da nicht hingehört.

Sind die Kinder im Bett?
Welche?
Unsere!
Ach die, nein, ich hab auf dem Spielplatz andere mitgenommen.
Was?
Nur Spaß. Die beiden sind im Bett.
Wir haben drei.
Oh…

So sieht ein Dialog aus, wenn Du absichtlich etwas missverstehst. Mit einer absichtlichen falschen Interpretation der Situation kannst Du die Perspektive wechseln. Der Contergan-geschädigte Tenor Thomas Quasthoff versteht gerne Dinge absichtlich falsch, wenn er formuliert: „In Deutschland leben 80 Millionen Behinderte. Ich habe das Glück, dass man es mir ansieht.“ Humor der zu viel Mitleid definitiv vom Platz wischt. Aber auch Humor der Schmerz erträglich macht. Warum erlebt man immer noch Diskriminierung mit einer körperlichen Behinderung? Sollten wir da nicht viele Schritte weiter sein?

Ein Wort oder ein Schmerz hat immer viele Möglichkeiten. Wenn man das Wort „MS“ im Wörterbuch nachschlägt, findet man sowohl den Begriff Multiple Sklerose als auch den Begriff Motorschiff. Das animierte Philipp Hubbe, einen in Mitteldeutschland sehr bekannten politischen Comiczeichner, der selber an MS erkrankt ist, zu folgendem Comic: Man sieht vier Schiffe nebeneinander und an fünfter Stelle steht ein Mann in einem Rollstuhl. Unter jedem Schiff steht ein Name: MS Hamburg, MS München, MS Honkong – und unter dem Mann steht MS Rainer.

In einem Wort stecken oft sinnverwandte Wörter und andere Bedeutungen. Was fällt Ihnen zu Krone ein? Bierkrone, Zahnkrone, Königskrone, Krone der Schöpfung, Kronkorken, Baumkrone, Gipfel, Vollendung und „Das ist doch die Krönung“. Wenn Du das nächste Mal beim Zahnarzt sitzt und er sagt: „Sie brauchen eine neue Krone“ dann antwortest Du: „Wie gut, dass das endlich mal jemand erkennt. Das wäre ja die Krönung.“ Und schon haben Sie ein Schmunzeln erzeugt.

Wenn man in den eigenen Erwartungen eine Linie mit zwei Punkten platziert hat, geht es darum den dritten Punkt so zu setzen, dass es humorvoll wird. Das ist der Kern eines Humortrainings. Viele Kabarettisten arbeiten mit einer humorvollen Wendung im Rahmen einer Aufzählung. Humor fällt uns leicht, wenn wir genug gegessen haben, genug geschlafen, wissen mit wem wir aktuell schlafen. Dann geht er uns leicht von der Hand.

Nicht witzig genug? Gut, dann einfach weiter ausprobieren. Was braucht man für saubere Fenster zu Hause? 1. Putzeimer 2. Putzmittel 3. Eine Putzfrau. Schon besser? Mir fallen Dreier-Gags auch für Problem und Schmerzen leicht, wenn ich sie aufschreibe, aber das mag bei Dir anders sein.

Wichtig, vor allem bei Sorgen darfst Du Dich an Humor heranrobben. Bleib entspannt, wenn die erste Idee nicht gleich humorvoll. Es ist eine Sorge, ein Gedankenkarussell. Du hast Dich eine Weile hineingearbeitet. Gibt Dir etwas Zeit, humorvoll wieder da raus zu kommen. Als Coach oder Therapeutin hast Du viele gute Tools in Deinem Handwerkskasten. Da darf die professionelle Betrachtung von Humor gerne mit hinein wandern.

Eure Eva Ullmann (im Gespräch mit der wunderbaren Birgit Deutschmann, Dagmar Kumbier und Noni Höfner)

Wenn Euch der provokative Stil und die Teilearbeit noch intensiver interessiert:

Noni Höfner und Lotte Tracht, München: www.provokativ.com

Birgit Deutschmann, Graz, Österreich: oeip.net

Dagmar Kumbier, Aufstellung der Inneren Anteile, Hamburg: Dagmar-kumbier.de