„Wollen Sie sich jetzt ausziehen?“ – Sexismus und Humor – Teil 2

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von Katrin Hansmeier und Dr. Kareen Seidler

 

Im ersten Teil dieser Serie haben wir uns angeschaut, welche Wirkungen welche Art von humorvoller Reaktion haben kann.

Hier nun ein paar Ideen, wie wir bei unpassenden Kommentaren humorvoll, schlagfertig und souverän reagieren könnten:

Eröffnung des Deutschen Baugewerbetages 2022 in Berlin. Die erfahrene Moderatorin (in einem roten Kleid) sagt: „Darf ich Ihnen den roten Teppich ausrollen?“ Reinhard Quast, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes, erwidert: „Wollen Sie sich ausziehen, oder was?“ Ein Großteil des Publikums lacht.

Die Moderatorin macht ein Kompliment, er einen aggressiven Witz auf ihre Kosten. In einer Comedyshow wäre das erlaubt, und zwar in beide Richtungen.

Wenn ich morgens zu meiner kleinen Tochter sage, „Es ist kalt. Zieh dir bitte die gefütterte Jacke an“, und sie fragt mich grinsend, „Mama, wie füttert man eine Jacke?“, dann versteht sie mit Absicht etwas falsch und das ist in dem Kontext witzig und sogar gut.

Herr Quast ist aber nicht mehr 6 Jahre alt. Und wie bei vielen ist seine Humorgewohnheit eher beschämend als aufwertend. Es ist der klassische Altherrenwitz.

Eine humorvolle Antwort ist hier eine Variante, um Grenzen zu setzen, das Offensichtliche auszusprechen und souverän mit der Situation umzugehen.

Was könnte frau also erwidern, wenn sie sich für Humor entscheidet?

„Meine Damen und Herren, herzlich willkommen zur Eröffnung des Deutschen Nudistentages … äh, Entschuldigung – des Deutschen Baugewerbetages.“

„Der Unterschied zwischen Kleid und Teppich ist Ihnen aber schon bekannt, ja?“ (kurze Pause) „Und zwischen einer Moderatorin und einer Stripperin hoffentlich auch?“
Und der Beste Konter zum Schluss, erdacht von der wunderbaren Annette Scheckmann, Managing Director bei Züblin: „Ist es nicht schön, dass sich manche Probleme von alleine erledigen? So zum Beispiel Sie mit dieser Aussage.“

Großer Empfang, ca. 90 Menschen, davon 3 Frauen verteilt im typischen Ankommgetümmel. Ich stehe in der Traube für den Check-in, als mich ein Herr des gastgebenden Unternehmens an der Schulter herumdreht und auffordert, ich solle jetzt endlich für Häppchen sorgen, er habe Hunger.

Mögliche Antworten:

„Ich sehe Sie sind unterversorgt. Sollen wir mal gemeinsam nach dem Servicepersonal Ausschau halten?“

„Wieso Häppchen? Ich sollte doch aus der Torte springen.“

„Selbst wenn ich dafür zuständig wäre, würde ich mir mehr Freundlichkeit von Ihnen wünschen.“

Und ein Konter (die aggressive Variante): „Mein Herr, so wie Sie aussehen sollten Sie lieber Intervallfasten machen!“

 

Eine Woche nach der Entbindung. Ein Kunde ruft an und spricht mit meiner Mitarbeiterin: „Ich muss für diese Angelegenheit in jedem Fall mit Ihrer Chefin sprechen.“

Ich rufe den Kunden zurück, sein Kommentar: „Sie haben doch erst letzte Woche Ihr Kind bekommen, da können Sie doch jetzt nicht arbeiten!“

„Ach wissen Sie, arbeiten ist grad völlige Entspannung für mich. Bloß nicht nach Hause…“

Alternative: „Danke, dass Sie mich daran erinnern. Dann geh ich mal schnell nach Hause.“

Wir alle kennen diese blöden Sprüche und unfairen Angriffe.

Sammeln Sie Ihre persönlichen Top Ten. Und dann begeistern Sie sich dafür.

 

Ihre guten Ideen packen Sie sich in den Ärmel für das nächste Mal!

 

„Oh welch’ Freude, heute ein Meeting mit so hübschen Frauen zu haben!“

„Okay, sehen gehört also zu Ihren Kernkompetenzen. Schauen wir mal, wie wir fachlich weiterkommen!“

 

„Mit diesen blonden lockigen Haaren kann man da überhaupt Anwalt/Anwältin sein?“

„Meistens klappt es ganz gut, nur manchmal versperren sie mir die Sicht.“

„Ich hab’ sie mir extra ankleben lassen, damit Sie mich unterschätzen.“

„Na, Sie sind mit Ihrem Gesicht ja auch Anwalt geworden. Das ist fast noch erstaunlicher.“

 

Nach einem wirklich guten Vortrag: „Tolles Kleid!“

„Ja, das ist zu 100 % aus Cashmere und handgefertigt.“

 

„Wo sind denn jetzt Ihre Kinder?“

„Die sind jetzt im Heim.“

„Die habe ich an der Tankstelle abgegeben. Ich hole sie auf dem Rückweg wieder ab. Das klappt ganz gut.“

 

„Und wer flicht der Kleinen die Zöpfe, wenn Sie mal nicht da sind?“

„Dann geht ihr Vater mit ihr jeden Morgen zum Friseur.“

„Ach, das kann sie mit 3 Jahren schon ganz gut alleine.“

 

„Kann ich mal den Chef sprechen?“

„Das tun Sie bereits.“

oder

„Moment, ich komme noch mal rein. Ta-daa: Hier ist die Chefin!“

 

Mögliche Reaktionen auf Mansplaining:

„Erklären Sie ruhig weiter, wenn es Ihnen hilft, das besser zu verstehen.“

„Danke! Das hätte ich sonst jetzt gar nicht verstanden…“

 

Eine Bauunternehmerin bekommt immer mal wieder zu hören:

„Was sagt denn Ihr Mann dazu?“

Mögliche Antworten:

„Sie meinen meine Frau?“

„Gut, dass Sie fragen. Vielleicht können Sie ihm helfen. Er ist total verzweifelt.“

 

Journalist zu Hazel Brugger: „Wie ist es so, als Frau auf der Bühne?“

Hazel Brugger: „Wie ist es so als Mann, wenn einem keine schlauen Fragen einfallen?“

 

 

Zwei Beispiele aus dem Klinikleben:

Eine Herzchirurgin macht bei der Visite den Verbandswechsel. Der Kollege neben ihr kommentiert: „Schau mal, wie sie da steht: wie eine Stewardess.“

Sie antwortet souverän mit einem Schmunzeln: „Ja genau, ich bin Quereinsteigerin. Erstaunlich, wie einfach das ist. Warum Sie dafür 7 Jahre Studium gebraucht haben, ist mir ein Rätsel.“

Oder:

„Ja, und zum Glück habe ich einen so netten Steward bei mir. Eine bessere Saftschubsencrew als Euch kann ich mir nicht vorstellen.“

Oder:

„Gleich heben wir ab. Bitte verstauen Sie Ihr Handgepäck!“

Oder:

„Was denken Sie, wie lange ich gebraucht habe, um so dastehen zu können??? Dagegen war das Medizinstudium ein Klacks!“

 

Die Chirurgin Dr. Kerstin Schick postete zum Frauentag 2023 Folgendes auf LinkedIn:

„Wenn wir bei der Operation ein Problem bekommen, dann schreien wir ganz laut nach einem Mann!“

– eine wahre Geschichte – 

Vor einiger Zeit habe ich einen jungen Mann behandelt. Er musste an seinen Venen operiert werden. Am Tag seiner OP waren wir wieder einmal ein großartig eingespieltes Team im grünen OP-Saal, alle wussten was zu tun war, jeder Handgriff saß. Der Patient wurde hervorragend versorgt entlassen und kam am nächsten Morgen glücklich in meine Praxis. Der Befund war sehr gut. Ich wollte mich gerade von ihm verabschieden, als mich der junge Mann zurückhielt und sagte, er habe noch eine Frage: 

Im OP-Saal gestern, da seien doch nur Frauen anwesend gewesen. „Ja, das stimmt, sagte ich. Tatsächlich hatten ihn bei seiner OP eine Anästhesistin, eine Anästhesie-Schwester, eine OP- Schwester, eine Springerin und ich als Chirurgin – also 5 FRAUEN versorgt. Außerdem hatten sich im Aufwachraum 2 weitere FRAUEN, eine Anästhesistin und eine Krankenschwester um ihn gekümmert.

 Der junge Mann schaute mich sehr ernst an, bevor er fortfuhr.

„Ich habe heute Nacht wach gelegen und viel nachgedacht. Wenn im OP nur Frauen anwesend waren, was um Himmels Willen machen Sie dann, wenn einmal ein echtes Problem auftritt und kein Mann da ist?

Für eine Sekunde war ich sprachlos. Machte der Patient gerade einen schlechten Scherz mit mir?? Nein, er meinte es tatsächlich völlig ernst! 

„Wissen Sie, sagte ich daraufhin, „wenn wir im OP ein Problem bekommen, dann muss eine von uns schnell auf den Flur treten und ganz laut nach einem Mann rufen. Dann wird alles gut.

 Seit diesem Tag gilt in meinem OP-Saal der geflügelte Satz „Bringt mir einen Mann, wir haben ein Problem, wann immer mal etwas nicht ganz rund läuft. Zum Glück ist das nur sehr selten.

 PS: Die Anästhesistin im Saal war seit 25 Jahren tätig, die Anästhesie-Schwester ebenfalls, die OP-Schwester war Ende 40 und hat in ihrer beruflichen Laufbahn schon alle großen Operationen Tag und Nacht instrumentiert. Und ich? Auch ich blicke auf mittlerweile 19 Jahre Berufserfahrung als Ärztin zurück.

Nützt aber alles nichts. Für manche Männer reicht nur ein Mann… [1]

 

Das waren also einige Beispiele aus dem echten Leben und mögliche Reaktionen – die uns ehrlich gesagt meist erst hinterher eingefallen sind. Aber verzögerte Schlagfertigkeit ist besser als gar keine Schlagfertigkeit. Und wenn wir fleißig Antworten auf unangemessene Kommentare sammeln, dann können wir sie demnächst mühelos aus dem Ärmel schütteln.

 

Wo hört der aggressive Humor auf und wo fängt die sexistische Beleidigung an?

Das ist vielleicht Ansichtssache – und auch situationsabhängig.

Die Nachhaltigkeitsexpertin Louisa Dellert hatte sich im Frühjahr 2023 auf LinkedIn über die sexistisch-humorige Werbung von Motatos geäußert. Motatos verkauft nach eigener Aussage „Dinge, die die Welt retten, die andernfalls im Müll gelandet wären“.[2]

Louisa Dellert kommentierte folgende Werbeslogans:

„Unsere Nudeln sind wie das Shirt deiner Tochter: etwas zu kurz.“

Warum ist es immer nur die Tochter, die zu freizügig gekleidet ist?

„Unsere Müslis sind wie seine Neue: ganz schön billig.“

„Ganz schön billig“ ist also wieder einmal die Frau?

Ihre Schlussfolgerung: „Ist doch nur ein witziger Spruch!? Nicht ganz. Immer und immer wieder werden durch solche Werbesprüche bestehende Rollenbilder und Klischees reproduziert, die in diesen Beispielen Frauen abwerten.“

 

Im dritten und letzten Teil unserer Serie schauen wir uns, was die Wissenschaft zu sexistischen Witzen sagt.

 

[1] https://www.linkedin.com/in/dr-kerstin-schick-2a9428242/recent-activity/all/

[2] https://www.motatos.de/info/so-funktionierts

 

Foto: Pexels, Andrea Piacquadio